WPF-Kultur Jg. 9 "ZEITREISE"

Der Jahrgang 9 widmete sich der Faszination ZEITREISE und setzte sich z. B. mit Zeitreisetheorien auseinander.

Impressionen zum Projekt und Zeitreise mal anders

Eine Geschichte von morgen

Corona mal negativ erlebt von Leo Heine

Timo sitzt allein in seinem Zimmer unter dem Dach in seinem Sitzsack und starrt durch das Dachfenster in den grauen, verregneten Himmel. Das Trommelgeräusch der Regentropfen durchflutet nur so das ganze Zimmer und die Heizung bollert. Es ist schön behaglich warm und gemütlich im Sitzsack, doch Timo kann sich nicht daran erfreuen. Schon seit über zwei Monate waren vergangen, als er das letzte Mal normal zur Schule gegangen war. Er ist jetzt
in der 9. Klasse und dementsprechend 15 Jahre alt. Bereits Ende letztens Jahres war eine virusbedingte Pandemie abzusehen, doch erst vor mehr als zwei Monaten wurden die Schulen in ganz Deutschland geschlossen und seitdem muss Timo sogenanntes „Home-Schooling“ und „e-Learning“ machen. Weil Timo sehr sportlich ist, ersetzt er das fehlende Training durch 5 Mal die Woche Laufen gehen, doch sonst begibt er sich kaum nach draußen, um sich vor dem Hochansteckenden Virus „Covid-19“ oder auch genannt „Corona“ zu schützen. Ansonsten ist der neue Alltag ganz okay für ihn. Schulaufgaben fallen ihm nur sehr selten schwer, durch die regelmäßigen Videokonferenzen hat er immer noch wenigstens ein bisschen Kontakt zu seinen Freunden und aufgrund der einkehrenden Lockerungen der strikten Kontaktverbote, hat er sich für den nächsten Samstag mit seiner Freundin Laura zum Laufen verabredet. Trotz dass in den Nachrichten von sinkenden Infektionszahlen geredet wird, bleibt der Virus dennoch höchst ansteckend und weiterhin sind die Risikogruppen eher ältere Menschen ab ungefähr dem Alter von 60 Jahren. In der letzten Zeit hat Timo reichlich Zeit mit seiner Familie verbracht indem sie zu Beispiel zusammen Monopoly oder Scrabble gespielt haben, einfach nur zusammen Filme schauten oder gemeinsam kochten. Eigentlich
war die Zeit sehr glimpflich und unterhaltsam in den letzten Monaten an ihm vorbeigerauscht, doch gestern kam ein Anruf, der allen Grund zur Freude und Hoffnung zunichte machte. Timos Opa ist krank. Timos Opa väterlicherseits ist bereits 81 Jahre alt und eigentlich auch kerngesund und ohne jegliche Vorerkrankungen, doch wenn er
beispielsweise nur einen kleinsten Schnupfen hat, ist er meistens sehr geschwächt und für weitere Zipperlein sehr angreifbar. Gestern Abend um etwa 20:00 Uhr rief Timos Oma bei ihm an und er ging ran. Seine winziger Bruder schlief schon längst und seine Eltern waren noch in der Uni arbeiten. Schon ab dem ersten Wort merkte Timo deutlich, dass irgendetwas nicht stimmte, doch seine Großmutter riss sich sofort zusammen, als sie die Stimme ihres
Enkels am Apparat erkannte. Sie versuchte fröhlich zu klingen und beteuerte, wie sehr sie sich freute, Timo am Hörer zu haben, doch es half ihr nicht, Timo wusste, dass etwas nicht stimmte. Die Beiden haben ein sehr gutes Verhältnis zu einander und stehen durch regelmäßigen Briefverkehr eng in Kontakt. Nach der üblichen Begrüßungszeromonie am Telefon setzte sich Timo auf einen der Gartenstühle auf der Terrasse in den lauen
Frühlingsabend und begann mit seiner Oma über das tägliche Leben zu exerzieren, doch ein richtiges Gespräch kam nicht in den Gang, denn dafür war sie zu abgelenkt und in ihren Gedanken viel zu weit von Timo entfernt. Zwanzig Minuten lang berieten sie sich, wie man am besten Waffeln bäckt, doch dann versiegte der Gesprächsstoff und Timo hakte nochmals nach, ob denn wirklich alles in Ordnung sei. Daraufhin seufzte sie schwer und lange Zeit kam
nichts, doch nach einer Minute des Schweigens gab sie sich einen Ruck und begann ihr Herz vor Timo auszuschütten „Ach Tomo, mein Lieber, es ist momentan nicht alles so einfach, wie bei euch…“, ihre Stimme brach ab. „Was ist denn nicht so einfach?“ fragte Timo nichtsahnend. Am anderem Ende der Leitung ertönt ein wiederholtes Seufzen, diesmal schwerer und trauriger. „Friedrich, also der Opa ist krank. Den ganzen Tag liegt er im Bett und hustet sich den Hals wund. Zu Beginn haben wir uns nichts dabei gedacht und haben es
als normalen Schnupfen abgetan, aber mit der Zeit wurde er immer schwächer und verschnupfter und… was soll ich denn jetzt machen? Fast alles habe ich schon ausprobiert, aber es hilft nichts!“ Jetzt klang sie richtig verzweifelt und Tomo wusste, dass wenn seine Oma schon alles ausprobiert hat, es wirklich schlimm sein musste, denn sie war in ihrer Berufszeit Ärztin gewesen und kannte sich dementsprechend aus. „Nach drei Tagen habe ich
dann den Hausarzt angerufen, doch der will ja aufgrund der aktuellen Situation nicht vorbeikommen. Also habe ich ihm die Symptome beschrieben und er meint“, ein unterdrückter Schluchzer war zu hören, „er sagte, dass der Opa vielleicht Corona hat. Er sagte, dass die Symptome sehr eindeutig seien. Was mach ich jetzt? Was soll ich jetzt bloß
nur machen? Ich weiß nicht mehr weiter…“. Langsam fasste sie sich wieder und wartete auf eine Antwort von Timo, der nicht so recht wusste, was er jetzt auf diese schreckliche Neuigkeit antworten sollte. Ganz perplex lauschte er dem leisen Rauschen aus der Leitung und nach einigen Sekunden erklang wieder die Stimme seiner Oma, diesmal ganz sanft und gutmütig „Jetzt hat es dir die Sprache verschlagen, gell? Das ist nicht schlimm, mein Spatz,
das ist nicht schlimm“. Mit letzterem wollte sie sich wohl selber Mut zusprechen und wieder Zuversicht gewinnen, weil sie eher beruhigend auf sich selbst einredete, als dass sie mit Timo sprach. „Es wird alles wieder gut, ich werde dass schon hinkriegen und irgendein Arzt kann uns schon helfen, spätestens… spätestens im Krankenhaus, ja. Oh, der Opa ruft nach mir, ich muss zu ihm. Timo, ich wünsche dir noch einen schönen Abend, ja? Wenn deine Eltern
wieder da sind, kannst du ihnen bitte mitteilen, dass sie mich zurückrufen sollen?“, mehr als ein gekrächztes „Okay“ brachte Timo in diesem Moment nicht mehr heraus und legte auf. Auf dem Abendbrottisch ließ er das Essen für seine Eltern stehen und machte sich auf dem Weg in sein Zimmer. Auf der Treppe bog er noch einmal in das Schlafzimmer seines kleinen Bruders ab und gab ihm einen Gute Nacht-Kuss. Leise schloss er die Schlafzimmertür und schlich in sein Zimmer. Als er sich auf sein Bett legte, hörte wie unten die Haustür auf und zu
ging und sich die Stimmen seiner Eltern leise bis hoch in sein Zimmer zogen. Schnell schlüpfte er in seine Schlafsachen und stellte sich schlafend, als seine Mutter nach im sah und ein traumloser Schlaff übermannte ihn sogleich.

Am darauffolgenden Morgen lief Timo wie gewohnt seine Runde und erst unter der Dusche
holte ihm die Erinnerung an das gestrige Telefonat wieder ein. Wie der Wetterdienst vorausgesagt hatte, regnete es in Strömen und der Wind peitschte die Regenhosen um die Hauswände. Die warme Dusche wärmte ihn allmählich wieder auf und seine Gedanken bekamen wieder eine gewisse Ordnung. Anschließend beim Frühstück war die Stimmung bedrückt und vor allem Timos Vater sah sehr traurig drein. Offensichtlich hatten er und seine
Mutter gestern noch telefoniert und so blieb es Timo erspart, ihm die Wahrheit erzählen zu müssen. Sie wussten alle bescheid und begannen damit zu leben und zu hoffen, dass am Ende doch noch alles gut werden würde. Doch es kam nicht so. Wieder einmal war Timo an einem Abend allein zu Hause und seine Großmutter rief an. Diesmal versuchte sie es nicht, zunächst vollkommen normal zu wirken, sondern war haltlos aufgelöst. „Timo! Timo, es ist
etwas schreckliches passiert! Etwas so schreckliches, wie konnte es so weit nur kommen? Ich hätte ihn gleich zum Arzt bringen müssen, wie konnte ich nur so blöd sein“, der Rest ging in einen langen Schluchzer unter. Timo brauchte einige Zeit, bis er sie einigermaßen beruhigt hatte und sie ihm alles erzählte. „Vor genau fünf Tagen habe ich den Opa in die Intensivstation bringen lassen, aber… aber es war zu spät. Er… er ist von uns gegangen, ich-„,
beiden hatte es die Sprache verschlagen. Das erste Mal hatte sie es laut ausgesprochen und das machte ihr die Tatsache so eindringlich bewusst, dass sie die kalte Wahrheit wie eine Faust ins Gesicht traf. Timo war ebenfalls gelähmt. Unter Tränen verabschiedeten sie sich und Timo viel abermals in einen traumlosen Schlaf.

Nur eine Woche darauf fand die Beerdigung statt. Im engsten Kreise der Familie lief der kleine Trauerzug durch den seichten, warmen Sprühregen über den Friedhof. Stocksteif, unfähig sich zu bewegen stand Timo, mit seiner weinenden Oma am Arm, am offenen Grab und schaute zu, wie der Sarg in die Erde glitt. Schweigend nahmen sie den Leichenschmaus im alten Elternhaus ein und blieben noch ein zwei Tage bei der Oma, um sie zu unterstützen
und ihr Beistand zu leisten.

Und jetzt sitzt Timo in seinem Zimmer und schaut den Regentropfen beim runterfließen zu. Er muss das Gefühls-Caos wieder in den Griff bekommen, seine Schule weiter machen. Auf seinem Rechner poppen schon wieder neue Nachrichten von Lehrern auf, die ihn daran erinnern wollen, doch bitte seine Arbeitsaufträge hochzuladen, doch Timo drückt sie einfach nur weg und schiebt die Schule immer weiter auf, denn in seinen Gedanken ist er ganz bei seinem Opa. Er denkt an die Reise, die er mit ihm als er acht Jahre alt war unternommen hat und an die schönen Momente, die er mit ihm in der Schweiz auf den unzähligen Wanderungen erlebt hat. Wie viel er von ihm erzählt bekommen hat und wie viel er von ihm gelernt hat. Timos Vater sagt immer wieder, dass die Familie ihn wenigstens immer als gesunden und fröhlichen Opa in Erinnerung behalten kann, was wenigstens ein kleiner Trost ist. Zwischen Timo und seiner Großmutter herrscht nun viel mehr Briefverkehr und auch telefonieren sie noch öfters miteinander als sonst. Ein Glück, denkt Timo, dass Oma das Virus nur mit einem kleinen Schnupfen überstand und nicht auch so krank wurde.

Im Laufe der Zeit kehrt die Normalität wieder in den Alltag zurück und Timo beginnt wieder, für die Schule zu arbeiten und seine Eltern verbringen wieder den ganzen Tag in der Uni, doch es ist nicht mehr das gleiche wie früher. Irgendwie ist alles mit einem Hauch Trauer
übersäht worden und die am Anfang noch so schön vorgestellte Zeit wurde zu einem Alptraum, weil Timo keine Ablenkung vom Tod seines Opas findet.

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